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English and German Festival Impressions

Rachel Oidtmann (Autorin / Tänzerin) und Kathleen Heil (Tanzjournalistin) schreiben im Wechsel in ihrer Muttersprache englisch und deutsch über die Tanzplattform Deutschland 2024.

Rachel Oidtmann (author / dancer) and Kathleen Heil (dance journalist) alternate between writing about the Tanzplattform Deutschland 2024 in their native languages English and German.

Eine Kooperation des Tanzbüro Berlin und der Tanzplattform Deutschland 2024
A cooperation between Tanzbüro Berlin and Tanzplattform Deutschland 2024

25.02.2024
von Rachel Oidtmann
 
„Der letzte Festivaltag wird am Vorabend bei der „Party Unique“
eingeläutet. In den Räumen der M.A.K Studios mischen sich
Veranstalter*innen und Festivalteilnehmer*innen, Performer*innen und
Publikum miteinander. Bei kurzen und angenehm unprätentiösen Pop-up
Performances zeigen sich Künstler*innen aus der freien Tanzszene mit
ganz unterschiedlichen Stilen. Sie tauchen auf, teilen ein Stück von
sich und ihrer Kunst und verschwinden dann wieder in der Menge.
Begleitet wird das Geschehen von Live-DJs. Man kann sich gewissermaßen
treiben lassen, zuschauen oder mitmachen, verausgaben oder entspannen.
Unterbrochen wird dieser Flow einzig von den anhaltend langen Schlangen
an der Bar. Aber auch das birgt letztlich eine gewisse Entschleunigung.
 
Am Sonntagvormittag finden Gesprächsrunden über den Tanzjournalismus in
Deutschland und der Schweiz sowie über Praktiken von Kuration statt.
Nach der „Meet the Jury“-Veranstaltung wird das Festival zum Ausklang
noch einmal ganz den Performer*innen überlassen und fünf der zehn
ausgewählten Stücke werden ein weiteres Mal gezeigt.
 
Die Aufführung „Wetland“ im Freiburger E-WERK reiht sich ein in die von
starker Körperlichkeit geprägten Stücke der Auswahl. Die Tänzer*innen
betreten in Slips und Sneakers die Bühne. Das Stück beginnt mit einer
Präsentation guter Laune. Die Tänzer*innen lächeln, positionieren sich
in bejahenden, selbstzufriedenen Haltungen und wechseln dabei immer
wieder zwischen einem aufeinander und einem ins Publikum gerichteten
Fokus. Hinsichtlich der Bewegungen wird hier auf bekanntes Material mit
zum Teil gymnastischen Elementen zurückgegriffen. Dann ein harter
Schnitt. Stille. Die Blicke richten sich ins Publikum. Danach geht es
dunkler weiter, mit zunächst düsterer, treibender Musik. Die Bewegungen
sind nun sprunghaft, abgehakt, taumelnd. Die Performer*innen tauchen mit
kleinen Solo-Momenten als Individuen auf. Nach etwa der Hälfte des
Stücks kommt es zu einem langen Kuss – der Moment, an dem der von
vermutlich allen im Publikum erwartete Regen einsetzt. Sofort kühlt sich
der Raum spürbar ab, während die Küssenden sich zuerst gegeneinander
lehnen und ihre Körper voneinander wegschieben, bevor sie schließlich
ineinander fallen, um sich zu umarmen. Nach einer Zeitlupen-Sequenz, in
der die Performer*innen auf unterschiedliche Weise über den Boden
rollen, beginnen sie mit langen, mühelos wirkenden Slides. Der Effekt
ist groß, weil sie auf dem nassen Boden deutlich mehr Strecke
zurücklegen, als ihre Bewegungen vermuten lassen. Das Wasser, das sie
dabei mit ihren Körpern vor sich herschieben, bringt eine zusätzliche
Bewegungs- und Soundebene mit sich. Die Rutschpartie wird gesteigert zu
einer regelrechten Rutsch-Party, und das Publikum feiert mit. Dass es
jede Menge Spaß macht, im Wetland unterwegs zu sein, scheint
offensichtlich. Trotzdem sind beim Verlassen des Theaters zweierlei
Stimmen zu hören: Diejenigen, die die pure Körperlichkeit, Queerness und
Bewegungsfreude feiern, und diejenigen, die sich mehr Dramaturgie und
choreografische Entwicklung gewünscht hätten.
 
In „Matters of Rhythm“ stellen Choreografin Rita Mazza und
Lichtchoreografin Hanna Kritten Tangsoo die Frage „Was ist visueller
Sound?“. Das Stück ist inspiriert durch gebärdensprachliche Rhythmen und
wird etwas abseits vom Festivalrummel in der besonderen Atmosphäre des
Theaters im Marienbad gezeigt. Es sind hier keine lauten, dominanten
Rhythmen, wie sie einem bei dieser Plattform sonst sehr viel begegnen.
Es sind im Gegenteil sehr feine, visuelle Strukturen, deren Rhythmik
Rita Mazza herausarbeitet. Wenn sie ihre Hände um eine Glühbirne legt,
sie immer wieder ein Stück weit öffnet und schließt, erklingt das
Geräusch der Finger fast wie ein Trommelwirbel im Raum, in dem ansonsten
vornehmlich Mazzas Atmung zu hören ist. Die Zwischenräume ihrer Finger
erstrahlen dabei als Lichtschlitze. Später entsteht eine schwingende
Rhythmik, als die Glühbirne an einem langen Kabel durch den Raum kreist.
Dann wieder sind es die Schatten von Mazzas Körper, welche den Rhythmus
kreieren, als sie ihn mit zwei Lampen aus wechselnden Richtungen
ableuchtet. Nach dem Stück wird gleich doppelt applaudiert: Mit
klatschenden und mit drehenden Händen in der Luft.
 
Damit endet die Tanzplattform 2024 auch für mich. Den Stimmungen nach,
die ich in den vergangenen Tagen eingefangen habe, hat sich Freiburg als
Veranstaltungsort bewährt. Vor allem die kurzen Wege und das durchweg
freundliche Veranstaltungs-Team haben überzeugt.
Jetzt gilt es, den Tanz wieder von der großen Plattform weg in alle
Ecken des Landes zu tragen. Dance On!“

25-02-2024
by Kathleen Heil

Accidental pleasures
„In “Mellowing,” a work by choreographer Christos Papadopoulos performed by the Dance On Ensemble, a dancer holds a small earpiece as if to cue up the sound, setting the minimalistic movement of ten dancers in motion. It was as if Ligeti’s symphonic poem for one-hundred metronomes and ten performers unfurled in the instruments of the performers themselves, instead of being displaced onto the mechanism of the ticking devices. The dancers began a small shuffling step, side to side, very nearly in place, that broke open into small variations, as though illuminating glitches in the Geist in the machine. Some of the dancers performed the tiny two-step with rigid upper bodies, others allowed their shoulders to follow the flow.
 
They travelled across the stage to come together in different constellations and then dispersed. Time ticked in and through their bodies, the bodies keeping rhythm in a manner both concordant with each other and discordant in their individual variations in the step, which became part of the choreographic canvas in its constrained vocabulary, At the dance’s end, the movements had a third-act crescendo of sorts, with the steps opening out into swooping arms, the lights and music also intensifying in dramatic force. I would have been curious to see the work stay within the rigor of its constraints, the steps ticking down in diminuendo, but the work was beautiful, as were the dancers in their dance. The sense of time contained in the bodies of the Dance On ensemble, a group consisting of professional dancers age forty and over, had a delicacy and resonance that worked differently than had the piece been performed by a group of recent conservatory graduates.
 
I’ve been thinking about anxieties over aesthetics the last days, not only while at the Tanzplattform, but in general, in particular as surrounds cultural policy debates in Germany. I wonder if we are doing a disservice to the art form to de-emphasize that a central feature of dance is that it offers an aesthetic experience, and that this has value. Do we worry that aesthetics are frivolous or irrelevant, that art has to be functional, is this why dance journalism is subjected to click counts? In a German-language discussion produced by TANZ.media, Bettina Schulte and Lilo Weber spoke about the state of dance writing in Germany and Switzerland, in a panel moderated by Rico Stehfest and Melanie Suchy. Lilo Weber described the task of writing about dance as one of transformation, rather than translation, and Bettina Schulte pointed out that if the metric of dance writing’s success becomes page hits or click counts that culture does not stand a chance, that we should understand the value of dance and dance writing outside of such metrics.
 
Rico Stehfest spoke of his practice of writing about dance as that of a seismograph, and I thought back to the shakes, ticks, and undulations of “Mellowing,” the after-effects of the work still moving back and forth in my own body. The force and duration of the dance was thanks, of course, to its aesthetic features, the ideas and sociological resonance of those ideas mediated through its formal properties. Can we celebrate dance as an art form, and aesthetic experience, precisely because it puts across rich and complex ideas through its formal mechanisms? This is also why dance writers and journalists are important and necessary independent of page clicks, because they contribute to the conversation by distilling the Stoff of the art of life into words. As the late, great dance critic Edwin Denby wrote: „Art takes what in life is an accidental pleasure and tries to repeat and prolong it.”
 
Thanks for reading and exchanging these accidental pleasures at the Tanzplattform Deutschland 2024 in Freiburg in these days. May there be more to delight in at the next edition, taking place in 2026, in Dresden.“

24-02-2024
von Rachel Oidtmann
 
„Who cares who sees it!“ ist die Frage, womit sich ein Teil der
Festivalteilnehmer*innen am Samstagvormittag beschäftigen. In einer
offenen Diskussionsrunde werden strukturelle Probleme hinsichtlich
Sichtbarkeit, Distribution und Zirkulation der Arbeit von
Tanzschaffenden in Deutschland thematisiert. Es geht um Ansprüche an die
Künstler*innen, die weit über den eigentlichen künstlerischen Prozess
hinausgehen, um Premierendruck und die Schwierigkeiten von
Wiederaufnahmen und Touring, um Ineffizienz innerhalb der
Förderstrukturen sowie den Bedarf von zuverlässigen langfristigen
Kooperationen. Das Interesse an dieser Veranstaltung ist groß, der
Peterhofkeller voll. Es zeigt die Notwendigkeit dieses Formats und
sicherlich auch, dass es bislang zu wenig davon in Deutschland gibt. Als
Ausgangspunkt für die Diskussion wird in der Vorstellungsrunde auf eine
Studie von Onda France (www.onda.fr) verwiesen, laut der die Hälfte
aller produzierten Stücke in Frankreich nur ein- oder zweimal gezeigt
werden. Dem allgemeinen Erfahrungswert nach scheint sich das in
Deutschland ähnlich zu verhalten.
Es ist eine emotionale Gesprächsrunde, nicht nur als erweiterte Themen
wie die Demobilisierung lokaler Kunstszenen durch tourende westliche
Kompanien angesprochen werden. Man spürt, wieviel Druck, Frust und
Existenznöte für die Beteiligten damit verbunden sind. Ernüchternd ist,
wie immer an dieser Stelle, der Hinweis auf die Aufteilung der
Fördergelder in Deutschland, wo der Löwenanteil an die Stadttheater geht
und somit von vornherein nur ein verhältnismäßig kleiner Topf für freie
Produktionszentren, Festivals und Freelancer bleibt.
Angesichts der diesjährigen Tanzplattform, die untypischerweise vom
Freiburger Stadttheater ausgerichtet wird, stellt sich da beispielsweise
die Frage, wie das Theater Freiburg durch Kooperationen mit lokalen
Tanzschaffenden auch die Szene vor Ort stärken könnte.
Fragen gibt es in dieser Runde viele, geklärt werden können sie hier –
natürlich – nicht. Es bleibt der Aufruf zur Kommunikation und eine Art
Schlussappell, endlich mit dem weit verbreiteten Missverständnis
aufzuräumen, die Künstler*innen müssten diese Probleme alleine
bewältigen. „Nobody can!“

Kennenlernen kann man an diesem Vormittag im Peterhofkeller auch die
„Arbeitsgemeinschaft Tanz & Elternschaft“
(www.tanz-und-elternschaft.de). Die Initiative setzt sich
kulturpolitisch dafür ein, die Arbeitsbedingungen für Eltern und
Betreuende im Tanz zu verbessern. Hervorgegangen aus Zeitgenössischer
Tanz Berlin e.V. vernetzt sie Tanzschaffende im deutschsprachigen Raum.
Dabei geht es z.B. darum, die Wahrnehmung von unsichtbarer
Care-Tätigkeit zu stärken, wodurch sich Brüche und Pausen in
Lebensläufen erklären. Auch die Etablierung von Betreuungsangeboten auf
Festivals und ähnlichen Veranstaltungen ist auf dem „Kids and Caregivers
Rider“ zu finden, um Tanzschaffende mit Kindern nicht von vornherein
davon auszuschließen.

Da passt es thematisch gut, dass im Anschluss daran beim Empfang des
Goethe Instituts endlich auch mal ein paar Kinder durch das Winterer
Foyer des Theaters flitzen. Die Veranstaltung wird genutzt, um mit
Hellerau den Ausrichtungsort der nächsten Tanzplattform bekannt zu
geben. Neben guten Wünschen überreichen die Freiburger Veranstalter dem
aus Hellerau angereisten Team Energy Drinks sowie eine kleine
Kuckucksuhr.

Bei der Aufführung von „Mellowing“ etwas später strahlen die vielen Jahre der Tanzerfahrung, die
sich mit den Tänzer*innen des Dance On Ensembles auf der Bühne versammeln, eine angenehme Gelassenheit aus.
Der feine und langsame Aufbau des Stücks stellt
zu diesem schon fortgeschrittenen Zeitpunkt des Festivals phasenweise
eine Herausforderung für die Konzentration dar. Doch die langsamen,
stetigen Verschiebungen der Körper in immer neue Konstellationen
entwickeln schnell einen Sog. Perfekt aufeinander abgestimmt und dabei
trotzdem nie komplett synchronisiert erstaunt es, wieviel Platz in
diesen schlichten Bewegungen für Individualität bleibt. Die Bewegungen
und Raumwege werden minutiös gesteigert bis hin zu einem einfachen, aber
großen Effekt, als die Schatten der Performer*innen an der Rückwand
erscheinen und das Ensemble damit schlagartig verdoppeln. Am Ende drängt
sich mir die Frage auf, ob etwas gleichzeitig langatmig und kurzweilig
sein kann. So oder so verlasse ich das Theater mit dem guten Gefühl,
eine runde und wohltuend griffige Performance gesehen zu haben.“

25-02-2024
by Kathleen Heil

missed+connections
„Emi Miyoshi, Lisa Klingelhöfer, and Julia Klockow of Freiburg’s freelance dance scene each led morning warmups within the framework of Tanzplattform Deutschland 2024, where we had a chance to move before beginning each day’s program. It was a welcome, more intimate way to connect with each other before diving into big groups to address big questions, perhaps a way even to move through these questions in a small way, simply by being together. In Klingelhöfer’s warmup, we broke off in pairs to improvise movement impulses in exchange and then brought these back to the larger group, energized by the ideas our different bodies imagined.
 
At the open panel “Who cares who’s watching?”, a discussion on the issues artists, institutions, and producing partners face regarding national and international distribution and touring, the panelists explored how the challenges inherent in making work should be connected back to the desire to share work meaningfully with audiences. Anne Kersting, a dramaturg and curator of the producing partner Antje Pfundtner in Gesellschaft in Hamburg, proposed that distribution is not the right word, stressing that the practice is about dissemination and connecting with audiences. Godlive Lawani, founder and director of State Performing Arts Management in Berlin, asked if we might not reimagine the term distribution as connecting.
 
This was echoed by the other panelists, along with a frustration about the sustainability of producing performance projects in Europe. The director/choreographer Stephanie Thiersch, founder and director of Mouvoir in Cologne, shared some disheartening statistics from a study conducted in France: half of all pieces produced there are performed on only one or two occasions, and more than sixty percent of works created have a life span of less than a year. She noted that, if works aren’t able to be disseminated and shared, than the chance to connect and dialogue with audiences cannot happen at all.
 
This desire for connection is the guiding force of dance, the artists, producers, and hosting institutions all emphasized, and an artist who goes by The Pirate read from a prepared statement, stating that the structure has to recognize its own limits and stop making dance within the logic of accumulation and competition. This is the perennial question: how to find points in common, what to do about artists working on the scene who are not connected to institutions and distribution networks and therefore missing from the structure. The Pirate reminded audiences that a lack of resources is not an excuse for unfair distribution of resources. Rui Silveira, artistic and managing director of the contemporary performing arts organization Something Great in Berlin, said the work needed to be seen as a shared task, so that all involved can conceive themselves as co-producers in the process.
 
Katharina Senzenberger’s crowd-pleasing and sold-out Wetland has certainly succeeded in generating a rousing—and arousing—connection to its audiences, with dancers slipping, kissing, and sliding across a wet floor to hard-driving techno and pop. Rain begins to fall on the white stage about thirty minutes in, when two bodies come together for a kiss, and the light shower then falls harder, eventually becoming a rollocking swamp of flung hair and gliding, joyous bodies. Though I loved the work’s celebratory queering of Busby Berkley delights, I missed from the piece a deeper choreographic development of the possibilities of movement inherent in the uniqueness of the slippery surface.
 
In listening to and conversing with dance artists in these days, I have the sense there is a collective longing to forge connections that don’t simply recreate the same structures we wish to critique in an artistic context. There is a desire for greater sustainability and equity from the side of artists making work, as well as from that of producing and institutional partners. How do we navigate and transform the often overwhelming challenges of producing art? Are there ways to push our imaginations further in the quagmire?“

24-02-2024
by Kathleen Heil

Repair?
„The stage goes red. The word Revenge lights up in crimson neon. In a 70-minute performative installation, Ligia Lewis’s A Plot / A Scandal examines the legacy of slavery and colonialism in and on racialized bodies. A silver skull rolls about the stage, Lewis dons a wig and robe reminiscent of those worn by men in Enlightenment France, enjoys a freshly microwaved steak, the flesh a feast for the eyes and mouth, a body reduced to an object to be consumed. Pieces of wood set in the floor are displaced and moved about the stage, as if plots of land in the space. Lewis strips down and marks herself with white paint; invokes the rituals of her Dominican grandmother; a blue dress becomes a headdress resembling that of a Catholic nun; she roams the audience and points to a member of the crowd, as if condemned, or chosen.
 
The word Repair in neon was visible on the back wall of the stage, but left dark. At the end of the performance, the sign lit up in bright yellow for the first time, along with a yellow neon question mark at the other end of the stage, framing the performers. In A Plot / A Scandal, Lewis deconstructs the objectification of Black bodies and asks if dance can be an act of rebellion, a place of agency where oppressive plots might be transformed.
 
Can dance be an act of rebellion? How can trauma enacted on racialized bodies be repaired? These questions were carried forward by dance artists Pascale Baba Altenburger, Nora Amin, and Hanna Ma in the BIPOC Dance-Café, an interactive, dialogic format, part of Dance Across Triangular Borders – Processes of Decolonization in Contemporary Dance, a two-day panel program conceived and moderated by Sandra Chatterjee. We gathered at three tables to listen, ask questions, and exchange ideas.
 
Hannah Ma is the co-founder of United Networks gUG (UN), an alliance of six self-organized artist groups, community-focused platforms and networks from five German federal states, committed to the promotion of marginalized artists and thus to an equitable cultural landscape. Ma told us that this question from A Plot / A Scandal resonated, and asked: Is repair possible, especially within a capitalist structure that can induce a learned helplessness?
 
Ma proposed that antiracist work cannot be treated as an abstract intellectual concept, it has to come from the body, from a somatic place. I thought of Bojana Kunst’s words, from her 2015 book Artist at Work: Proximity of Art and Capitalism, which I will quote in full because it seemed to me that Ma created a shared space for exchange and transformation that embodied the kind of subversive pleasure Kunst describes: “Subversive pleasure comes from the distance that the dancing body has towards the institutional mechanisms of the exteriorization of movement, precisely because it can dance. In this sense the ability to move can resist the economic and social organization of the relational aspect of movement, and open up other embodied ways of moving together that continuously create flows of disturbances and affective persistence. This pleasure needs to be linked to the ability of everyday movement to induce change.”
 
We were surrounded by flowers and fliers proposing new ways of communication and detailing UN’s cultural work, we wrote the names of those not present we wished to invoke and call into presence, performed a movement ritual to come into connection with each other. Lara Kramer, a First Nations artist based in Montreal, proposed relationality as a means of repair, but emphasized that institutions need to approach this work meaningfully, first and foremost from within. As Chatterjee brought our session to a close, Ma shared with us the small pleasure of some sweets, and our three groups gathered as one for a photo.“
 

Photos: Marc Doradzillo

23-02-2024

by Kathleen Heil

Dancing in the dark times
„As I journeyed yesterday to Freiburg from Berlin for the Tanzplattform Deutschland 2024, it was hard not to think about Bertolt Brecht’s oft-cited lines, published in 1939 when he was in exile from the Nazi regime: “In the dark times / will there also be singing? / Yes, there will also be singing. / About the dark times.”
 
In their opening remarks, the German Federal Government Commissioner for Culture and the Media, Claudia Roth (in a prerecorded video), and Dr. Adriana Almeida Pees, Artistic Director of Tanzplattform Deutschland 2024, alongside Martin W.W. Horn, Mayor of Freiburg (both presenting in person), spoke of the capacity of dance, in uncertain and difficult times, to bring people together in empathy and diversity. Just days after Aleksei Navalny’s death under Putin’s regime, amid the war in Ukraine and ongoing humanitarian crisis in the Middle East, what is dance—and dance in Germany—for? In the dark times, will there also be dancing about the dark times?
 
Moritz Ostruschnjak’s Terminal Beach inaugurated the Tanzplattform’s five-day gathering by answering this question with a resounding, and deeply unsettling (in the best sense)—yes. A work for six dancers that employs what the choreographer calls his principle of “Copy&Paste” and “Cut&Mix,” Terminal Beach was not one of those self-congratulatory works of art that rally viewers into feeling pleased with ourselves over sad things we feel good for having the right opinions about.
 
The piece was far more subtle, casting an implicating gaze at us, at our bodies as spectators to the spectacle. Implicit in the dancers’ movements, I felt, was the question: For those of us who live in comfortable (if slightly crumbling) Western, liberal democracies, what do we do with our bodies as our leaders perform their postures of power? Are we impassively, terminally beached on the shores of indifference?
 
Though there was occasional laughter from people in the audience at the dancers’ repetitive, sometimes unexpected movements—mounting the flags they held as though riding a horse, for example—it seemed to me the accumulation of body rolls and poses carried a simmering rage at our lack of discomfiture at our relative comfort. The dancers wove flags whose images were abstracted from ones we might nearly recognize from nations and corporations both big and small: a St. George’s Cross blacked out by a square, an inverted Marlboro-esque red triangle with the imperative to breathe. The dancers held these flags aloft and roller-skated across the stage to a pulsing electronic score interspersed with bomb-like bursts of sound and capital(ist) kitsch—enacting jerky moves to a snippet of Johnny Cash singing “(Ghost) Riders in the Sky” as though Charlie Brown characters trapped in the endless entertainment of their dance. The piece seemed to ask if we, the audience, our ourselves not trapped in a kind of collective complacency, as the sound of Netflix loading played on a loop toward the work’s end. There was also a thread of vulnerability running through the piece, in this case literally: Miyuki Shimizu, clad in orange, atomized urgent paths in circles and swoops at the work’s beginning and end, as if searching for our humanity amid a triumphant, willful desire to distract and amuse ourselves. A white flag appeared. A fight broke out.
 
I exited the theater to candles, messages, and flowers placed beneath the flags of Freiburg and the European Union, in memory of Navalny. How can our living, breathing bodies stand in meaningful responsibility to the bodies of those far more vulnerable, to those who don’t always survive the brutality enacted by others, Terminal Beach seemed to ask. At its end, the metal armor of two dancers stood and shone on the empty stage, as if in a permanent standoff. And then the performers rushed in, with their terminally vulnerable bodies, to take their bows.“

23-02-2024

von Rachel Oidtmann
 
23.02.2024
 
„Der zweite Tag der Tanzplattform fällt regnerisch und windig aus. Da
passt es gut, dass als Start in den Tag ein kleines Warm-up angeboten
wird. In Kollaboration mit dem Tanznetz Freiburg leiten an drei Tagen
drei Freiburger Tanzschaffende eine kurze Einheit an. Einer der leider
sehr wenigen Momente des Festivals, an denen man die Möglichkeit erhält,
einen winzigen Einblick in die Freie Szene vor Ort zu erhalten. In
diesem Zusammenhang sei unbedingt die Installation: „Meet the local
scene“ im Foyer des E-WERKs erwähnt, in der sich die freie Freiburger
Tanzszene vorstellt.
An diesem Vormittag müssen 45 Minuten reichen, um sich im eigenen Körper
einzufinden, bevor man den Tag damit verbringt, andere Körper zu
betrachten und anderen Körpern zu begegnen. Beim kollektiven
Händeschütteln erhält man die Gelegenheit, sich gegenseitig einmal ganz
bewusst in die Augen zu schauen. Ein schöner Moment, als dabei die
internationalen Namen der Teilnehmer*innen wie ein Klangteppich durch
den Raum hallen.
 
Im Anschluss beginnt im Literaturhaus Freiburg „Dance Across Triangular
Borders“, ein zweitägiges Diskurs-Format, das dekolonisierende Prozesse
im zeitgenössischen Tanz behandelt.
 
Thematisch beklemmend dazu passend reiht sich danach der Besuch von
Ligia Lewis‘ Stück „A Plot / A Scandal“ an, in dem in einer Art
historischen und anekdotischen Collage und mit zum Teil verstörender
Körperlichkeit unter anderem die Sklaverei behandelt wird. Der erste
Teil der Performance lebt ganz von der starken mimischen und stimmlichen
Präsenz der Künstlerin. Dabei wird zunächst viel angerissen und wenig
erklärt. “Well, some stories … are hard to tell“, kommentiert Ligia
Lewis diese Vorgehensweise selbst. Stichwort-artige Einordnungen
verlinken das Geschehen auf der Bühne unter anderem mit dem 17.
Jahrhundert in Frankreich sowie den französischen Kolonien in der
Karibik. Mit beeindruckender Leichtigkeit kombiniert die Performerin
rohe Laszivität mit einer Art historischem und bisweilen verwirrt
anmutendem Herrschergebaren. Damit wirkt sie immer wieder wie Täter und
Opfer in einer Person. Trotz aller Schwere gibt es auch unterhaltsame
Momente, die zum Teil sicherlich auf eine bloße Überforderung des
Publikums zurückgeführt werden können. Auch ein Bühnentechniker sorgt
für kurze Aufheiterung, als er in historischer Perücke leichtfüßig
tänzelnden Schritts Bodenplatten entfernt. Doch am Ende bleibt vor allem
eine tiefe Beklommenheit zurück. Und großer Respekt vor dieser
schonungslosen Performance.
 
Beim Shuttle zur auswärtigen Spielstätte Art’Rhena, die auf einer
Rheininsel an der französischen Grenze liegt, kommt
Klassenausflugs-Feeling auf. Die Zeit im Reisebus wird zum Kennenlernen,
Gespräche vertiefen oder Augen schließen genutzt.
Wer (wie ich) vor Ort auf einen kleinen Snack gehofft hatte, wird
enttäuscht, denn die Bar wurde für diese Veranstaltung leider nicht
besetzt. Dafür findet die Begrüßung im Theater hier gleich in drei
Sprachen statt.

Weil eine Tänzerin an diesem Abend ausfällt, steht Tümay Kılınçel selbst
mit ihrem Ensemble auf der Bühne. Das Stück beginnt mit
entschleunigender Eleganz. Im Vergleich zu einigen der anderen
hochpolierten Stücke in der Auswahl, kommt „we ♥ 2 raqs“ sehr pur daher.
Auf der Bühne treffen fünf Performer*innen und drei Musiker*innen
aufeinander.
Zunächst scheint Bewegung hier in seiner reinsten Bedeutung zu
funktionieren. Es fühlt sich an, als würde nicht so sehr mit der
Bewegung als Medium verhandelt, sondern die Bewegung selbst sowie die
sie ausführenden Körper und eine damit aufkommende Lebensfreude
gefeiert. Doch gerade über diese Authentizität gerät der Köper selbst
immer mehr in den Mittelpunkt und verdichtet sich die Stimmung fast
unmerklich. Und eh man sich’s versieht, steckt man mitten drin in einem
brandaktuellen Dialog über Körperbilder, Diversität, Queerness und
Respekt.
„Or is your opinion about me not my responsibilty?“ Diese Frage schwebt
über allem. Zumindest hier scheint ihre Antwort klar zu sein. Und so
endet die Performance mit einem durch und durch bejahenden
Befreiungs-Tanz auf der Bühne.
 
Damit diese Message nicht auf der Bühne verhallt, sollten unbedingt alle
Festivalteilnehmer*innen diesen Tanz aufnehmen und weiterführen. Eine
erste Gelegenheit dazu ergibt sich Samstag ab 21.30 Uhr beim „Club
Unique“!“

22-02-2024

von Rachel Oidtmann

„2024 – die Tanzplattform Deutschland feiert in Freiburg ihr 30-jähriges
Jubiläum. Da reicht nicht eine Eröffnung, da wird gleich zweimal
eröffnet.
 
Den Auftakt macht ein Gespräch mit den Initiator_innen, welche die
Plattform 1994 ins Leben gerufen haben, sowie Adriana Almeida Pees, der
künstlerischen Leiterin und Kuratorin für Tanz am Theater Freiburg, die
die treibende Kraft dafür war, dass die diesjährige Ausgabe des Formats
in Freiburg stattfindet. Unterbaut wird das Gespräch von der
Installation „Tanz erzählt: Tanzplattform Deutschland – Die ersten
Jahre“, in der via Video weitere Künstler_innen der frühen Jahre des
Festivals zu Wort kommen (bis Sonntag zu sehen von 16.00 – 21.00 Uhr im
Steinfoyer des Theaters Freiburg).
Die Stimmung ist entspannt, auch als eine kurze Irritation entsteht,
weil dem Vorschlag, das Gespräch statt auf Deutsch auf Englisch zu
halten, nicht nachgegeben wird. Einer der Initiatoren macht es wett,
indem er nach dem Gespräch sein gerade erhaltenes Schokoladen-Präsent
ins Publikum weiter reicht – zur Stärkung der angestrengten
Sprach-Nerven.
Es ist spürbar, dass man sich freut, zusammen zu kommen, sich
auszutauschen und den zeitgenössischen Tanz in Deutschland zu feiern.
Und das ist auch genau, was Almeida Pees im Sinn hatte. Ihr zufolge
müssen die Spätfolgen der Corona-Pandemie auch im Tanz noch überwunden
werden. Nicht zuletzt deswegen setzt die Jury in diesem Jahr auf eine
besonders physische Auswahl. Die Nähe der unterschiedlichen
Veranstaltungsorte soll nicht nur symbolisch genutzt werden, um näher
zusammen zu rücken und zwischen den Veranstaltungen umso mehr Zeit für
Gespräche und Austausch zu haben.
Als Festival-Hub dient der historische Peterhofkeller auf dem Campus der
Uni Freiburg gleich gegenüber des Stadttheaters.
Dass ein Stadttheater die Tanzplattform ausrichtet, ist bisher einmalig
in der Geschichte des Festivals. Das eigentliche Manko der Freiburger
Tanzsparte, die schon seit zehn Jahren kein eigenes Ensemble mehr
behaust, wird im Zuge der Tanzplattform zum Vorteil erhoben. Denn genau
durch diesen Status, so Almeida Pees, arbeite die Sparte ganz ähnlich
wie freie Produktionshäuser mit Gastspielbetrieb, Ko-Produktionen und
Residenzprogrammen.
 
Dass die Zusammenarbeit zwischen Freier Szene und Stadttheater für das
Ausrichten einer solchen Plattform gerade in einer Stadt wie Freiburg,
fernab der großen Kulturzentren Deutschlands, viele Vorteile haben kann,
scheint schon alleine hinsichtlich der Menge an vorhandenen Bühnen
einleuchtend. Es bleibt zu hoffen, dass die Freie Szene vor Ort dabei
nicht gänzlich hinter den übermächtigen Strukturen des Stadttheaters
verschwindet.
 
Bei der offiziellen Festivaleröffnung am Abend ist allen Rednern gemein,
dass der verbindende und Grenzen-überwindende Charakter von Tanz, die
Offenheit der Szene und die Universalität der Tanz-Sprache hinsichtlich
so ziemlich aller Herausforderungen unserer Zeit als großes
gesellschaftliches Bedürfnis, als dringende Notwendigkeit empfunden
wird.
Im Großen Haus kann auch OB Martin Horn der Bühne nicht widerstehen,
zieht inmitten seiner Begrüßungsrede ein portables Mikro hervor und
beschreitet die Fläche, als er mit Hinweis auf Freiburgs ukrainische
Partnerstadt Lwiw daran appelliert, sich nicht an Leid zu gewöhnen.
 
Danach wird die Bühne, gewissermaßen als dritter Akt der Eröffnung, den
Künstlern überlassen.
Und Moritz Ostruschnjak und seine Performer nehmen sich in „Terminal
Beach“ so viel davon wie nur irgend möglich. Jeglicher Vorhänge und
Gassen entkleidet präsentiert sich die Bühne als schwarzer Kasten, den
die (nur) sechs Tänzer_innen vom ersten Moment an voll im Griff haben.
Es ist sehr viel, was hier zusammengepackt wird: Viel Raum, viel laut,
viel Musik der unterschiedlichsten Genres, viel (Sinn-entfremdete)
Symbolik und – natürlich – auch viel Bewegung. Die Bilder überzeugen mit
ihren lässigen, ineinanderfließenden Kompositionen. Sie wirken von der
schwarzen Tiefe des Raums bis ins Detail ganz vorne am Bühnenrand.
Getragen werden sie von den Performern, die einzeln ebenso wie in der
Gruppe ihre Stärke beweisen. Sie kommen mal rau, mal poetisch daher,
dabei immer auf den Punkt. Warum gerade das Image des Cowboys als
Stellvertreter wohlbekannter Verhaltensmuster gewählt wurde, erschließt
sich nicht zwingend. Aber Spaß macht es beim Zuschauen auf jeden Fall.
 
Die Tanzplattform 2024 ist eröffnet!“